Agieren statt reagieren — Einsparpotenziale im Gebäude durch Betriebsoptimierung effektiv ausschöpfen
Technisches Monitoring, bedarfsgerechte Wartung und prädiktive Instandhaltung sind nur eine Auswahl der Begrifflichkeiten für technische Verfahren, die im Zusammenhang mit einer Optimierung des Gebäudebetriebs genannt werden. Diese Verfahren dienen dem altbekannten, ursprünglichen Ziel der technischen Gebäudeausrüstung: Ein optimales Innenraumklima für Behaglichkeit und Wellbeing der Gebäudenutzer unter Einsatz möglichst weniger Ressourcen zu gewährleisten. Kombiniert mit den Möglichkeiten der Digitalisierung stellen diese Verfahren ein neuartiges Werkzeug zur Betriebsoptimierung dar und ebnen den Weg vom derzeit meist reaktiven Betrieb von Gebäuden in eine proaktive Betriebsführung. Dadurch kann bereits vorhandene Technik bedarfsgerechter, verschleißfreier und mit weniger Arbeitsaufwand — kurz gesagt: effizienter — betrieben werden. Bei zeitgleicher Verbesserung des Innenraumkomforts summiert sich das Potential zur Betriebskosteneinsparung durch Reduktion von CO2-Emissionen, Energieverbrauch, Wartungs- und Instandhaltungskosten zu durchschnittlich 20 %.
Durch eine proaktive, digitalisierte Betriebsführung können Betreiberteams auch bei zunehmendem Fachkräftemangel einen großen Beitrag zur Lösung von aktuellen Herausforderungen der Immobilienbranche leisten. Zu den Herausforderungen der Branche zählen insbesondere Dekarbonisierung, Nachhaltigkeit, ESG-Ziele (Environmental, Social, Governance) und EU-Taxonomie.
Dieser Beitrag beleuchtet was unter proaktivem Betrieb zu verstehen ist, warum er nicht früh genug im Gebäudelebenszyklus etabliert werden kann und wie in der Betriebsphase mit kleinen Schritten der Wechsel von reaktiven auf proaktiven Betrieb gestartet werden kann.
Reaktivität: Status quo im Gebäudebetrieb
Aktuell ist die Arbeit von Betreiberteams darauf ausgelegt auf Nutzerbeschwerden und Alarme der Gebäudeleittechnik zu reagieren. Häufig ist eine Reaktion zeitkritisch, damit weitere technische Störungen und Unzufriedenheit der Gebäudenutzer vermieden werden. Als technisches Werkzeug, um Alarmen und Beschwerden nachzugehen, ihre Ursachen zu verstehen und zu beheben, steht den Betreiberteams und dem Facility Management meist nur eine Gebäudeleittechnik zur Verfügung. Mit ihr können aktuelle Messdaten, sowie Status der technischen Gebäudeausrüstung (TGA) eingesehen, akute Fehlfunktionen erkannt und behoben werden. Die grundsätzliche Ursache für die Betriebsstörungen kann mit einer Gebäudeleittechnik jedoch oft nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand identifiziert werden, sodass in absehbarer Zeit gleichartige Alarme und Beschwerden erneut auftreten. Störungen der TGA, die zwar zu einem erhöhten Energieverbrauch führen, jedoch keinen Alarm auslösen oder Nutzerbeschwerden verursachen, können mit diesem Vorgehen nicht erkannt werden. Bestenfalls werden diese Fehlfunktionen bei der nächsten Wartungsarbeit erkannt und behoben.
Proaktivität: Der Schlüssel, um aktuelle Herausforderungen zu meistern
Innovative Betreiberteams und Facility Manager sind sich der Problematik einer reaktiven Betriebsführung bewusst und beginnen rein intuitiv mit einem Wandel zu einer proaktiven Betriebsführung: Beispielsweise nutzen sie Trendanalysen und setzen sich kontinuierlich mit einer Verbesserung des Betriebs auseinander, um die Ursachen und nicht nur die Symptome für Alarme und Beschwerden zu beheben. Natürlich kann nicht vermieden werden, dass es dennoch zu technischen Störungen kommt. Sie treten jedoch seltener und in geringerem Maße auf. Die Arbeitsbelastung der Teams sinkt bei zeitgleicher Verbesserung der Betriebsstabilität und Energieeffizienz im Gebäude.
Um den aktuellen Herausforderungen und insbesondere dem Wunsch nach Dekarbonisierung des Betriebs zu begegnen, bedarf es jedoch weiterer technischer Werkzeuge zusätzlich oder alternativ zur Gebäudeleittechnik. Diese müssen Betreiberteams und Facility Management in die Lage versetzen dauerhaft und effizient die gesamte TGA eines Gebäudes im Blick zu behalten. Sie müssen aktiv dabei unterstützen die über 500 möglichen Fehlfunktionen unterschiedlicher Art und verborgenen Energieverluste im Gebäudebetrieb zu identifizieren und Anleitung geben, diese zu beseitigen.
Derartige Tools stehen zunehmend am Markt zur Verfügung und orientieren sich in unterschiedlichen Ausprägungen und Automationsgraden an der Methodik des technischen Monitorings nach VDI-Richtlinie 6041. Die Richtlinie beschreibt ein auf Betriebsdaten basierendes, systematisches Vorgehen zur Analyse und Verbesserung des TGA-Betriebs. Ein besonderer Schwerpunkt wird auf technische Anlagenfunktionalität, Energieeffizienz und Innenraumkomfort gelegt. Die Richtlinie eignet sich dadurch in besonderem Maße als methodische Grundlage für proaktiven Gebäudebetrieb.
Technisches Monitoring unterstützt proaktiven Betrieb
Insbesondere energetisch nachteilige, aber auch verschleißträchtige Betriebsweisen der TGA bleiben bei reaktiver Betriebsführung zwangsläufig unbemerkt und werden nicht behoben. Mit dem technischen Monitoring von Gebäuden und gebäudetechnischen Anlagen nach VDI 6041 steht eine Methodik zur Verfügung eben diese Betriebsweisen strukturiert zu identifizieren und zu vermeiden. Die VDI-Richtlinie empfiehlt betriebsdatenbasiertes Energie-, Anlagen-, Gebäude- und Behaglichkeitsmonitoring durchzuführen. Ziel des technischen Monitorings ist eine tiefgreifende Transparenz des Gebäudebetriebs zu ermöglichen und damit eine Grundlage für eine umfassende und effektive Betriebsoptimierung zu schaffen. Die VDI-Richtlinie unterteilt in Einregulierungs- und Langzeitmonitoring, um auf die unterschiedlichen Phasen im Gebäudelebenszyklus einzugehen.
Proaktive Betriebsoptimierung beginnt bereits deutlich vor der Betriebsphase des Gebäudes. Schon beim ersten Probebetrieb im Neubau von Gebäude und TGA kann das technische Monitoring zur Qualitätssicherung der Errichtung genutzt werden. Zu diesem Zeitpunkt ist die Informationslage über die TGA-Planung und ihre tatsächliche Errichtung am besten. Die Informationen können im technischen Monitoring zu einem Abgleich des Ist-Probebetriebes gegen das Planungs-Soll herangezogen werden. In dieser Phase können auch die Akteure wie Systemintegratoren und Installateure noch problemlos Fehlfunktionen ausgleichen. Bereits im Probebetrieb, insbesondere jedoch in der Einregulierungs- und Betriebsphase des Gebäudes ist es ratsam mit technischem Monitoring einen Abgleich zwischen dem Ist-Betrieb und dem Literatur-Soll zum Stand der Technik durchzuführen. Dadurch wird ebenfalls das Planungs-Soll überprüft und die Verbesserung des Betriebs erfolgt im Vergleich zum technischen und physikalischen Optimum. Dieses Vorgehen eignet sich sehr gut für den erstmaligen Einsatz von Monitoring während der Betriebsphase.
Durch Langzeitmonitoring kann der Betrieb gezielt auf veränderte Gebäudenutzung und technische Herausforderungen angepasst und unvermeidbaren Fehlfunktionen proaktiv begegnet werden.
Digitalisierung automatisiert technisches Monitoring
Außer Frage ist, dass die Durchführung von technischem Monitoring sowohl umfangreichen Datenzugriff zu Mess- und Statusdatenpunkten von Automationssystemen als auch starke fachliche Expertise im Betrieb von Gebäuden zur Auswertung der erhobenen Daten benötigt.
Auch diese Herausforderungen können softwarebasiert gelöst werden. Ihre einzelnen Prozessschritte lassen sich in Daten Sammeln, Strukturieren, Analysieren und Betrieb optimieren einteilen.
Sammeln: Die Speicherung und Verfügbarkeit jeglicher Trends von Datenpunkten aus Automationssystemen, Energiemessungen und zusätzlicher IoT-Sensorik kann über Anbindung des Gebäudes an eine Cloud-Plattform erreicht werden. Moderne Automationsstationen bieten bereits eine direkte Kopplung von Automationssystemen zu derartigen Plattformen an und auch für den breiten Gebäudebestand stehen Cloud-Gateways in Form von Edge-Devices und Datenloggern zur Verfügung. Neben ihrer Vorteile für das technische Monitoring, ermöglicht eine Cloud-Plattform zahlreiche weitere Use-Cases in Smart Buildings, sodass sie sich als Standardgewerk der Gebäudeautomation etabliert.
Strukturieren: Auf die Betriebsoptimierung von Gebäuden spezialisierte Plattformen bieten die Möglichkeit die verfügbaren Betriebsdaten mit Hilfe von künstlicher Intelligenz teilautomatisiert in digitale Zwillinge der einzelnen technischen Anlagen, der Gewerke und des gesamten Gebäudes zu strukturieren.
Analysieren: Die Analyse der Daten kann sowohl manuell oder automatisch durch Algorithmen erfolgen. Zur effizienten manuellen Auswertung der Betriebsdaten stellen Cloud-Plattformen einfache und ortsunabhängig zu bedienende Web-Oberflächen zur Visualisierung von Betriebsdaten zur Verfügung. Der Vorteil der manuellen Datenanalyse liegt in der Flexibilität und Anpassung der Analyse auf das spezielle Gebäude. Die Strukturierung der Daten in digitale Zwillinge unterstützt die manuelle Navigation durch die Menge an Betriebsdaten.
Bei einer automatischen Analyse wertet künstliche Intelligenz die in digitalen Zwillingen strukturierten Betriebsdaten aus. Die künstliche Intelligenz ist meist eine Kombination aus regelbasierten und statistischen Algorithmen. Die Ergebnisse der Analysen sind über die Web-Oberfläche der Plattform einsehbar und stellen automatische Inspektionen des Gebäudebetriebs im Sinne des technischen Monitorings dar. Betreiberteams und Facility Management können die Ergebnisse direkt nutzen, um proaktiv den Gebäudebetrieb zu verbessern. Insbesondere im Dauerbetrieb bekommt das Betreiberteam dadurch einen digitalen Helfer, der vollautomatisch ein dauerhaftes Monitoring des gesamten Gebäudesystems übernimmt.
Optimieren: Manche Plattformen bieten zusätzlich an, direkten Einfluss auf den Gebäudebetrieb zu nehmen, um die erkannten Optimierungsmaßnahmen direkt umzusetzen. So können Betreiberteam und Facility Management ähnlich einer Gebäudeleittechnik Regelparameter, Sollwerte, Heizkurven, Absenkbetriebe und Fahrpläne der TGA anpassen und darüber hinaus zusätzliche und erweiterte Regelstrecken über die Plattform aktivieren. Derartige Anpassungen des Automationssystems stellen einen Großteil der durch technisches Monitoring identifizierten Optimierungsmaßnahmen dar. Diese Optimierungen können ohne Investitionen implementiert werden.
Jetzt ist der Zeitpunkt mit proaktivem Betrieb zu beginnen
Unabhängig davon, ob Sie Gebäude errichten, besitzen, kaufmännisch oder technisch verwalten oder betreiben: Jetzt ist der richtige Zeitpunkt mit proaktivem Gebäudebetrieb zu beginnen.
1. Integrieren Sie eine Cloud-Plattform als Standardgewerk in Ihren Neu- oder Bestandsbau und beginnen Sie die Aufzeichnung aller Datenpunkte.
2. Digitalisieren Sie Ihre Datenhaltung konsequent: Ob Dokumentation der Anlagentechnik, Rechnungen über Energieverbräuche oder Wartungsinformationen. Digital, im besten Fall web-erreichbar, bleiben diese Daten und ihre Informationen verfügbar und stehen zur Unterstützung eines proaktiven Betriebs zur Verfügung.
3. Insbesondere während der Errichtung: Informieren Sie sich frühzeitig über technisches Monitoring und suchen Sie sich Unterstützung durch Berater und Ingenieurbüros.
Befinden Sie sich bereits in der Betriebsphase Ihres Gebäudes, erwägen Sie die Nutzung eines digitalen Werkzeuges zum automatischen technischen Monitoring.
4. Im Betrieb: Verstehen Sie den proaktiven Betrieb von Gebäuden als einen Prozess der kontinuierlichen Verbesserung. Setzen Sie sich gemeinsam mit Asset-, Property-, Facility Management und Betreiberteam Ziele im Betrieb. Beispielsweise die Reduktion der CO2-Emissionen um 5 % in den nächsten 12 Monaten oder die Senkung der Aufwände des Facility Managements um 10 %. Benennen Sie Verantwortlichkeiten, führen Sie kleinschrittig Maßnahmen durch und berichten Sie über deren Erfolg.
Fazit
Mit proaktiver Betriebsführung kann nicht nur der Energieverbrauch, die CO2-Emission, die Abnutzung technischer Gewerke in Gebäuden und die Kosten für den Betrieb reduziert werden, sondern auch die Behaglichkeit der Gebäudenutzer ohne Investitionen gesteigert werden. Darüber hinaus unterstützt eine proaktive Betriebsweise die Arbeit von Facility Management und Betreiberteams.
Mit technischen Richtlinien wie der VDI 6041 stehen bereits etablierte methodische Vorgehensweisen zur Verfügung.
Mit Hilfe digitaler Werkzeuge kann dem Betreiberteam und dem Facility Management ein Helfer zur Seite gestellt werden, der einen Wechsel von reaktiver zu proaktiver Betriebsführung möglich macht. Diese digitalen Werkzeuge setzen sich zusammen aus Datensammlung durch eine Cloud-Plattform, Datenstrukturierung in digitalen Zwillingen, Datenanalysen durch Algorithmen der künstlichen Intelligenz und Optimierung des Betriebs direkt über die Cloud-Plattform.
Wie proaktive Betriebsführung zu einer maßgeblichen Reduktion von Energieverbrauch und CO2-Emissionen führen kann, zeigt aedifion im Kaiser Hof in Köln, einer Projektentwicklung der Art-Invest Real Estate, anhand einer Case Study: Case Study Kaiser Hof